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In polnischer Gefangenenschaft

Annemarie Müller (* 1904) aus Nürnberg
In polnischer Gefangenschaft 1945-1947

Nach meiner gescheiterten Flucht vor den Russen aus Polen war ich Ende Februar 1945 wieder in Walny und suchte dort meine Nachbarin, Frau Stroschein, und fand sie im elendsten Hause, ein eingefallenes Haus, von dem nur noch ein Raum stand. Da drinnen waren schon zehn Personen, und ich schlüpfte mit meinen drei Kindern auch noch mit rein. Der kleine Raum war übervoll, und hier versuchten wir zu leben.

Die polnische Miliz holte uns gleich zur Arbeit raus, Tote beerdigen. 42 deutsche Soldaten haben wir in einem Massengrab beerdigt, ein ganz kleiner Teil von denen, die im weiten Osten als vermißt gelten, von denen die Angehörigen nie etwas hören und wissen werden. Oft habe ich in den nächsten zweieinhalb Jahren an diesem Hügel gestanden. Dann mußten wir von früh bis abends auf den Chausseen Schnee schaufeln, ohne Pause, ohne Essen. Die Kinder blieben bei zwei alten Großmüttern zu Hause. Es war uns alles so egal, wir lebten nur noch von einem Tag auf den anderen und dachten nur, wann kommst Du dran. Wie viele wurden umgebracht und zu Tode gequält.

Zu essen bekamen wir nichts. Mir steckten meine alten polnischen Arbeitsleute, die auf meinem Hof gearbeitet hatten, immer wieder etwas zu. Es war von ihrer Miliz streng verboten. Nach einiger Zeit bekamen wir vier Kilo Kartoffeln für acht Tage, sonst nichts. Beim Schneeschaufeln schikanierte uns die Miliz und es war bitter kalt. Hier war es der Pole Wazek, dem ich es gedenken werde. Er war ein wilder Kommunist und ich kannte ihn schon von früheren Zeiten ein wenig. Er hatte bei mir geholfen beim Schlachten. Er beschützte mich immer irgendwie, er stellte mich immer dorthin, wo es nicht viel zu schaufeln gab und brachte es dann fertig, daß ich überhaupt nicht mehr gehen brauchte.

Ich konnte dann in der Gärtnerei arbeiten. Der Gärtner war auch anständig, er gab mir irgend eine leichte Arbeit im Gewächshaus und schloß mich ein, daß niemand herein konnte; zum Abend ließ er mich raus. So blieb mir manches erspart. Wir lebten fünf Wochen in dieser zerfallenen Kate, Freiwild für die Polen. Zuschließen konnten wir das Loch nicht. Die Dorfbewohner taten uns nichts, sie halfen uns immer wieder mit großer Angst, es war ihnen unter Drohung verboten. Aber diese rote Miliz von auswärts war was Furchtbares.

Nach fünf Wochen wurden alle Deutschen in ein Gesamtlager zusammengefaßt. Man holte uns um 5 Uhr raus und brachte uns zur Gemeinde. Dort standen wir lange in der Morgenkälte, ein Elendshaufen. Ich wurde ohnmächtig und lag lange an der Seite auf einem Schneehaufen. Nach zwei Stunden hieß es: Los! Zwei Frauen nahmen mich auf und in die Mitte, dann mußten wir im Trab laufen bis Kutno, 11 Kilometer. Miliz in großer Menge lief neben uns und schlug immer auf uns ein.

Wir waren jetzt nur noch ein Haufen Frauen mit Kindern und junge Mädels und wurden in einem größeren Lager zusammengefaßt, in einem Nebengebäude einer Landwirtschaftsschule. Etwa fünfzig Menschen waren hier in drei kleinen Räumen. Wir mußten alle in der Gärtnerei arbeiten und im Gut arbeiten. Es gab nichts anderes als Kartoffeln und die noch sehr knapp. So wurde dreimal am Tag eine dünne Wassersuppe mit Kartoffeln gekocht. Meine kleine Ute, 8 Jahre wurde sie, nahm eine polnische Familie tagsüber zu sich aus Mitleid. Sie hatte dadurch eine warme Stube und zu essen. Die Frau schickte mir auch manchmal durch Ute ein bißchen Brot und auch Milch mit. An diese Polin werde ich auch immer in Dankbarkeit denken.

Wir lebten in dem Lager auf Stroh, konnten uns bald trotz aller Anstrengungen gegen die Läuse nicht mehr erwehren. Wir hatten kein andres Hilfsmittel gegen sie als das tägliche Absuchen. Wir waren alle auf dem Kopf und in den Kleidern vollkommen verlaust. Seife hatten wir natürlich nicht. Eine alte Schüssel hatten wir gefunden, die wir alle als Waschschüssel benutzten. Wäsche zum Wechseln hatten wir natürlich nicht mehr. Als es dann wärmer wurde konnten wir uns wenigstens in einem Teich, der ganz in der Nähe war, notdürftig etwas reinigen.

Seit Ostern bekamen wir etwas Brot außer den vier Kilo Kartoffeln in der Woche. Das ganze Jahr hatte ich eine Darmkatarrh, den ich nicht los wurde. Das steigerte sich, bis ich Ende Oktober 1945 auch Typhus bekam mit hohem Fieber. Ich wurde in die berüchtigte Baracke nach Kutno transportiert. Die Erinnerung an eines erschütterte mich immer wieder. Es war an einem Sonntag im November, da hörte ich, wie die anderen sagten: Da draußen steht ein Kind und schaut nach der Baracke. Ich richtete mich auf so gut ich konnte und sah meine kleine Ute im Novembersturm stehen und sich am Stacheldraht festhalten. Aller Mut hatte sie wohl verlassen, so weinte sie. Sie durfte ja nicht durch den Stacheldraht und konnte mich gar nicht sehen.
Ich hatte Bauchtyphus und lag zusammen mit einem Flecktyphus auf einem Lager. Ich hatte nur immer das Ziel, so schnell als möglich zurück zu den Kindern zu kommen und nicht zu sterben.

Im Januar 1946 mußte ich mit einem Bauern in ein weit entlegenes Dorf. Meine Kinder durfte ich alle mitnehmen. Der Bauer war sehr gut zu uns, die Bäuerin und die Töchter waren Hexen. Ich mußte schwer arbeiten, vom frühen Morgen an alle Drecksarbeiten machen, oft unter den niedrigsten Umständen zusammen mit einem halbblöden polnischen Knecht. Der Bauer trat doch sehr für mich ein und bewahrte mich manchmal vor Schlägen und erleichterte mir manchmal die Arbeit, nahm mir oft etwas ab und half mir. Und das war schon etwas, denn vor nichts hatten die Polen so Angst als davor, als ”Freund der Deutschen” zu gelten oder in den Ruf zu kommen, zu den Deutschen gut zu sein. Die Angst vor ihrer roten, bestialischen Miliz steckte ihnen genauso in den Gliedern wie uns Deutschen.
Wieder ist in dieser Zeit ein Tag, den ich mir merkte. Es war der 19. März, der Namenstag des Bauern. Schon am Vormittag kamen zwei Wagen voll Besoffener, um zu gratulieren, und hier wurde weiter Fusel gesoffen. Sie hatten bald heraus, daß ich eine Deutsche war und prügelten mich in der Küche.

Im Mai 1946 kam ich wieder in ein anderes Lager. Dort waren etwa 15 Frauen und 20 Kinder, ich war unter Leidensgenossen und konnte wieder deutsch reden. Die Arbeit war schwer, zu essen gab es nur Kartoffeln und Salz und in 10 Tagen zweieinhalb Kilo Brot, nur für die Arbeiter. Es gab nichts anderes als aushalten und hoffen auf den Tag der Erlösung. Im Herbst 1946 bekam ich den ersten Brief von daheim, von der Mutter. Über den Suchdienst hat er mich erreicht. Von da ab bekam ich ab und zu mal eine Nachricht, wenn sie auf heimlichen Wegen bis zu uns gelangte. Wenn die Miliz Briefe für die Deutschen erwischte, wurden sie vernichtet.

Es wurde wieder Winter und das zweite traurige Weihnachten kam. Heilig Abend haben wir bis in die Dunkelheit hinein arbeiten müssen. Am Silvesterabend haben wir trotz drohender Miliz gesungen, zum Schluß haben wir alle gestanden und ganz laut gesungen ”Nun danket alle Gott ...”, alle drei Verse, und niemand hat uns was getan.

Arbeiten mußten wir schwer, 14 bis 16 Stunden am Tag. Es kam vor, daß wir die ganze Nacht durchmachen mußten. Sonntags mußten wir die Schanzen zuschippen, die die Deutschen noch in den letzten Kriegsmonaten ausgehoben hatten. Die Schanzen lagen an der Bahnstrecke nach Warschau - Rußland und zweimal haben wir es erlebt, das Transporte mit heimkehrenden Kriegsgefangenen an uns vorbei fuhren; mit welchen Gefühlen haben wir ihnen nachgeschaut.

Am 8. August 1947 kam einer gesprungen, ich solle sofort zur Miliz kommen. Es sei ein Telefonanruf gekommen: Alle Reichsdeutschen zusammen zu holen zum Abtransport nach Deutschland. Ich habe meine Kinder geholt, mein Bündel zusammengepackt und los ging es. Abends war ich auf der Bahnstation, dort wurden wir in den Milizkeller gepackt, etwa 50 Reichsdeutsche, ein elender Haufen Menschen; alle nur noch in Lumpen, aber alle gleich freudig. Nachdem wir alle nochmals durchgeschleust waren, kamen wir in den Waggon und es ging los bis Lodz.

Schließlich wurden wir noch in der Nacht auf Autos geladen und man brachte uns in das berüchtigte Schikawe, ein entsetzliches Lager, wo tausende und tausende von Deutschen umgebracht und umgekommen sind. Es gab dort Menschen, die seit Frühjahr 1945 dort waren und sie zeigten uns die Schlucht hinter den Baracken, die keine Schlucht mehr war, weil sie aufgefüllt war mit den Leichen von 8.000 bis 11.000 Deutschen. Jetzt wuchsen üppige Tomaten drauf.

Nach Tagen ging es los, wirklich der Heimat zu. Abends waren wir in Kohlfurt und zum ersten Mal gingen deutsche Ärzte und Schwestern durch unsere Transporte und sprachen freundlich mit uns. Es war ganz komisch, daß wir nicht mehr angebrüllt wurden. Dann ging es über die Neiße bis Wehrkirch, es war die erste Station auf deutschem Boden.

Es kamen nun noch harte Wochen, wo ich es begreifen lernen mußte, daß es keinen Platz mehr für uns gibt, die wir die Heimat verloren haben. Ich ging dann weiter über die Grenze ins französisch besetzte Gebiet, wo meine Geschwister mir halfen.


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